Audioweg Jamlitz

Im Wald und auf der Heide.

Die Schicksale des Dorfes Jamlitz.

Ein Jahrhunderthörspiel von
Kai-Uwe Kohlschmidt und Andreas Weigelt

© Eine Produktion des KARUNA e.V. 2014. Neuauflage 2022 im Auftrag der Evangelischen Kirchengemeinde Lieberose und Land.

Ein Jahrhundert in Jamlitz

Postkarte Jamlitz, 1905. | Archive LAGER JAMLITZ

Franz Lippisch „Ackermanns Wiese“ | (Öl auf Leinwand)
1931 Jamlitz/Niederlausitz

Von Andreas Weigelt

Jamlitz – ein ehemaliges Industriedörfchen, die Siedlung angeklebt an eiszeitliche Hügel und durchflossen vom slawischen Quell namens Byhle. Dem Ort tuschelt noch heute die Sage zu, daß hier vor 800 Jahren die Wenden ihre letzte Schlacht gegen die deutschen Kolonisten verloren, ihre Kämpfer im Heidesand versunken waren und ihr namenloser König seither als weißer Karpfen in der Byhle die Zeiten abwartet.

Noch im Gründerfieber des zweiten Kaiserreichs hatte die Deutsche Reichsbahn 1877 einen fast schnurgeraden Gleisdamm von Frankfurt an der Oder durch ostbrandenburgische Kiefernschläge, über Wiesen und entlang klarer Seen nach Cottbus gezogen. 

Es dauerte noch 20 Jahre, bis die ersten Künstler aus Berlin, schon damals das Stadtleben fliehend, in Jamlitz, an der Station, die damals „Lieberose“ hieß, aus dem Zug stiegen, hier Häuser bauten und es sich im Wald und auf der Heide gutgehen ließen. Umgekehrt stellte sich so für die Handwerker, Kleinindustrieproletarier, Kneiper und ein paar Bauern die Verbindung zur weiten Welt her. 

Die Maler waren kaum alt geworden, als Unheil über das Dorf kam.

Um Eroberung, Raub und Völkermord in der Sowjetunion zu vollenden, sollten im Wald und auf der Heide um Jamlitz Truppen der Waffen-SS für den deutschen Endsieg üben.
Für ihre Baustellen brachten sie in Güterzügen fast 6000 jüdische Arbeitssklaven aus ganz Europa in das Außenlager Lieberose, das mitten im Dorf lag und zum KZ Sachsenhausen gehörte. Viele Tausende wurden durch schwerste Arbeit getötet, als Verletzte und Kranke in Zügen zu den Gaskammern des Vernichtungslagers Auschwitz zurücktransportiert und zuletzt vor den Augen und Ohren der Jamlitzer bei der Auflösung des Lagers erschossen. 

Das Gasthaus „Zum kühlen Grund“ zu Beginn des 20. Jahrhundert.

Henk de Kloet  (holländischer Zwangsarbeiter)
Erstes KZ im Gasthaus „Zum kühlen Grund“
(Zeichnung) 1944

Ankommen und Gehen

Kurz darauf, also noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs, strömten aus dem Osten mit der rückflutenden Wehrmacht und SS heimatlose Deutsche mit Kuh und Wagen ins Dorf und zogen in die verlassenen SS-Baracken. Viele Leute aus dem Dorf Braschen blieben für immer.

Der Befreier vom Nationalsozialismus, die Rote Armee, ließ im ersten Friedensherbst durch die Geheimpolizei NKWD die Lagerbaracken wieder in Betrieb nehmen. Diesmal war das Arbeiten verboten. Die abgeholten deutschen Zivilisten betrachtete man als kleine Rädchen des Hitler-Reiches, Männer und Frauen – und auch Jugendliche, denen man zutraute, den sowjetischen Besatzern in den Rücken zu fallen. Jeder Dritte starb in diesen anderthalb Jahren im Speziallager Nr. 6 Jamlitz an der schlechten Ernährung, an Tatenlosigkeit und Ungewißheit. 

Die Besatzer blieben für zwei Generationen und legten über Wald und Heide in Jamlitz und Umgebung ihren größten Schießplatz in Mitteleuropa. Er bestand sogar länger als die DDR, die zu schützen man vorgegeben hatte. Es war eine aufregende und auch bedrohliche Zeit für die Jamlitzer. Aber selbst sie verging.

August 1944, Leitung nach Ullersdorf,
KZ Häftlinge bei Jamlitz

1950 – Soldat der Roten Armee in einem Jamlitzer Garten

100 Jahre Jamlitz

Das Dorf hingegen blieb, blühte mit der deutschen Einheit kurz auf und lebt etwas entvölkert nun ohne Kleinindustrie, Kneipen und Eisenbahn weiter. Der alte Bahnhof steht noch und hat seinen Tiefpunkt durchschritten. 

Die Dorfstraße um 1910 und um 2010.

Hier wohnen und lernen seit kurzem junge Städter, denen die Umstände, die Familie oder sie sich selbst ein Bein stellten. Sie suchen hier mit der Hilfe des Berliner Vereins KARUNA e. V. einen Weg zu neuem, ihrem eigenen Leben.

Der Bahnhof um 1910 und um 2010.